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AutorenbildMarkus Sommer

Der Chromat-Skandal wird offiziell

Aktualisiert: 20. Apr. 2023

In verschiedenen Branchen werden tausende von Gas- und Dampfturbinen mit Calcium-haltigen Isoliersystemen ausgestattet. Was dabei oft verschwiegen wird:


Die calciumhaltigen Isolierungen neigen zur Bildung des krebserregenden und umweltschädlichen Chrom (VI)-Verbindungsstoffs Calciumchromat. Obwohl diese thermochemische Reaktion bekannt ist, haben Turbinenhersteller und Isolierungsunternehmen das Problem bisher stillschweigend hingenommen.


Doch jetzt wird die Wahrheit aufgedeckt, und der Chromat-Skandal rückt in den Fokus der Öffentlichkeit.


So veröffentlichte die Hessische Ländermessstelle für Gefahrstoffe am 13.04.2023 das folgende Dokument auf ihrer Webseite (das ganze Dokument kann weiter unten per Link-Klick heruntergeladen werden):

Informationsschreiben des Bundeslands Hessen über die Chromat-Expositionen in Kraftwerken durch die Verwendung calciumhaltiger Isolierungen und Montagepasten
"In Kraftwerken wurden auf Anlagenbauteilen in Verbindung mit alkali-/erdalkalihaltigen Isolierungen und Montagepasten Chrom (VI)-Verbindungen (Chromate) nachgewiesen."

Sehr ausführlich wird die Entstehung der krebserregenden Chromate beschrieben, also die thermochemische Reaktion von z. B. Calciumoxid als Bestandteil von Hochtemperaturdämmungen wie z. B. die überall in Kraftwerken aufzufindende Mineralwolle, aber auch andere alkali- oder erdalkalihaltige Isoliermaterialien mit chromhaltigen Legierungen von ebenfalls häufig vorkommenden Edelstahlheißteilen.


Der Hinweis auf "Kraftwerksanlagen" (z. B. Gas- oder Dampfturbinen (Anm. der Redaktion), "Generatoren", "Großmotoren" (wie wir sie also aus der BHKW- oder KWK-Technik kennen (Anm. der Redaktion)), "Prozessanlagen der chemischen Industrie" und "generell überall dort, wo die vier Ausgangsbedingungen


 chromhaltiger Stahl

 alkali-/erdalkalimetallhaltige Isoliermaterialien oder Montagepasten

 thermische Belastung

 Sauerstoff der Umgebungsluft


über lange Betriebszeiten dauerhaft zusammentreffen, muss mit der unerwünschten Bildung von Chromaten gerechnet werden", heißt es weiter.


Umfangreiche Schutzmaßnahmen erforderlich; auch unbeteiligte Arbeitsgruppen indirekt betroffen; Gefahr der Schadstoffverschleppung in andere Unternehmensbereiche möglich

In der Rubrik


"Betroffene Beschäftigte und Expositionssituationen" heißt es weiter:

"Abisolierungen und Demontagen, bei denen es zu einer Chromat-Exposition kommen kann, werden in den Kraftwerken oft durch Beschäftigte von Industriedienstleistern, also Fremdfirmen, ausgeführt. Da beim Entfernen thermisch gealterter Mineralwollen mit einer Freisetzung von chromatbelasteten Faserstäuben in die Atemluft zu rechnen ist, wird vermutet, dass insbesondere Industrieisolierer exponiert sein können. Im Anschluss an die Abisolierung können durch Tätigkeiten an Bauteilen mit chromatbelasteten Oberflächen weitere Beschäftigte wie Beispiel Mitarbeiter technischer Prüforganisationen exponiert werden. Verbleiben chromatbelastete Fasern und Stäube im Arbeitsbereich oder werden sie in andere Arbeitsbereiche verschleppt, wird gegebenenfalls auch das Stammpersonal des Anlagenbetreibers nach Abschluss der eigentlichen Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen belastet."


Es versteht sich von selbst, dass mit Chromaten kontaminierte Alt-Isolierungen fachgerecht und gekennzeichnet als Sondermüll entsorgt werden müssen, auch müssen die Abisolierarbeiten mit neuestem Kenntnisstand unter besonderen Bedingungen, wie z. B. die Einhausung der kontaminierten Bereiche und das permanente Tragen voller Schutzausrüstung, durchgeführt werden.


Zum Thema Substitution schreibt das Fachzentrum für Produktsicherheit und Gefahrstoffe:


"Von den oben genannten vier Ausgangsbedingungen plus die Kontaktzeit besteht nur Einfluss auf die Wahl der eingesetzten Isoliermaterialien und Montagepasten."

Die Dämmstoffindustrie mit ihren verbundenen Isolierunternehmen und angeschlossenen Dienst- und Serviceleistern steht also vor einem Paradigmenwechsel und einer hiermit verbundenen Herkulesaufgabe.


Zum einen wird jede Revision einer Turbine im Kraftwerk oder der Service an BHKW- und KWK-Motoren in Biogasanlagen und anderen technischen Anlagen zur kostenträchtigen Sonderbaustelle und es ist davon auszugehen, dass nun das Interesse an calciumfreien Isoliermaterialien und Isoliersystemen sprunghaft ansteigen wird, weil die Betreiber logischerweise die jetzt anstehenden Reinigungs- und Revisionsarbeiten nicht noch ein zweites Mal wiederholen wollen.


 

Chromat-Expositionen in Kraftwerken


Bildung krebserzeugender Chrom(VI)-Verbindungen auf Oberflächen thermisch beanspruchter chromhaltiger Stähle durch Kontakt mit alkali-/erdalkalimetallhaltigen

Isoliermaterialen und Montagepasten


Hier der versprochene Link zum Download des Dokumentes "Chromat-Expositionen in Kraftwerken" (auf das Bild klicken)




Eigentlich sollte der jetzige Blogbeitrag über erste calciumfreie Isolierprojekte in Deutschland und weitere calciumfreie Isolierprojekte in Großbritannien berichten; aufgrund der neuen Entwicklungen hat sich die Redaktion allerdings entschlossen, das

Informationsschreiben der hessische Ländermessstelle für Gefahrstoffevorzuziehen; über bereits praxiserprobte Substitutionen calciumhaltiger Isolierungen mit alkali- und erdalkalifreien Isolierstoffen und Isoliersystemen (siehe Bild) berichten wir dann in Kürze.

Ein Foto, wie calciumfreie Isolierungen aussehen, haben wir schon einmal eingefügt:



calciumfreie, textile Isolierung für einen BHKW-Motor in Deutschland


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